Der folgende Text ist ein Werk aus den
letzten 4 Monaten. Ich saß etwas länger dran, habe am laufenden
Band dran herumgebastelt, vieles hinzugefügt, viele Gedanken
umsortiert aber auch wieder verworfen. Das Veröffentlichen habe ich
immer wieder vor mir her geschoben. Es ist wie immer, schwieriges
Thema, nur mein Gedankenwirrwarr dazu. Ich würde mich sehr über ein
wenig Rückmeldung und auch Austausch freuen. Der Kommentarbereich
unter meinen Texten ist für allen offen. Fühlt euch frei einen
netten Gruß und eure Meiningen da zu lassen.
Die Anderen.
Ja
genau, die
nächste rechts, por favor. Ich sitze im Taxi auf dem Weg nach Hause.
Es ist der gleiche Taxifahrer, den ich beim Einsteigen von 30 auf 20
Bolivianos runtergehandelt hatte (10 Bs = 1,20 Euro). Ich muss dann auf das große weiße Hochhaus dort zeigen, jenes, welches
irgendwie so einsam in die Höhe zu ragen scheint. Doch es ist eines
von vielen, die das Stadtbild Santa Cruz prägen. Ein Hochhaus in dem
so wie in vielen anderen die Hälfte der Wohnungen leer stehen und
die Menschen die den Rest bewohnen viel Geld haben.
Zu
meiner Wohnsituation möchte ich noch einmal ein wenig ausholen. Ich
hatte mir natürlich bewusst keine großen Erwartungen an meine
Lebensweise hier gestellt, in einfacheren Lebensverhältnissen als in
Deutschland zu leben stellte sich für mich erst einmal nicht als
großen Verzicht da. Hochhaus und Fahrstuhl, wären mir wirklich
nicht im entferntester Weise in den Sinn gekommen. Und deswegen hat
dieses mich am Anfang auch ein wenig überfordert.
Ein
Mitfreiwilliger der mich einmal besuchte sagte :„Das ist ein ganz
anderes Bolivien das du kennen lernst“. Ich verstand: Oh wenn es so
anders ist, ist es dann überhaupt das richtige?
Natürlich
ist es das richtige. Westlich geprägte Hochhäuser gehören genauso
zu Bolivien wie Lehmhütten und Sandstraße. Im Verzicht leben zu
müssen um das „wahre“ Bolivien kennen zu lernen ist doch
irgendwie ein Hirngespinst das wir in uns tragen. Mittlerweile habe
ich verstanden, dass es natürlich nichts an der Gesamtproblematik
ändert, sich für einen materiellen Wohlstand schlecht zu fühlen,
für den mensch selber gar nichts kann. Das Zitat: „Mensch weiß
die Dinge erst zu schätzen, wenn er sie verloren hat“ besitzt zwar
auch seinen treffenden Funken Wahrheit, aber etwas wertzuschätzen
während man es hat ist doch eine viel wunderbarere Sache und meine
mückenfreie Oase im 15.Stockwerk wird wertgeschätzt. :)
Aber dennoch: Was störte mich dann
so sehr an dem für bolivianische Verhältnisse Luxus in dem ich
lebe?
Für
mich war es eine ganz neue Erfahrung. Es ist das erste mal, dass ich
in einer Gesellschaft lebe, in der ich nicht zur Massensesselschaft
gehöre. Ich falle auf, steche mit meinem Äußeren aus der Masse,
wecke verständlicherweise eine Assoziation,
die in den Köpfen hier verknüpft ist. Mit weißer Hautfarbe wird
man erst einmal in die Schublade „Gringa“ und „Geld“ gesteckt. Und genau hier kommt
das Hochhaus ins Spiel. Die Weiße die im Hochhaus wohnt. Es ist,
dass es das Bild das ich so ungewollt auslöse verstärkt. Es
war ein unterbewusster innerlicher Kampf. Ich wollte dem Stereotyp
einfach nicht entsprechen. Obwohl es pauschal nicht einmal ein
negativer Stereotyp war. Ich fühlte mich hier in meinen bisherigen
fünf Monaten Bolivien noch kein einziges Mal aufgrund meines Äußeren
diskriminiert. Das Gegenteil ist der Fall und das beschäftigt mich:
Alle meine Erfahrungen hier in Bolivien haben mir gezeigt,
dass weiße Hautfarbe hier als
etwas sehr positives aufgegriffen wird. Ich treffe auf ganz viel
Interesse. Ich werde unglaublich oft angesprochen, mir werden
Sitzplätze angeboten, ich muss keinen Eintritt bezahlen
(bolivianische Freunde mit denen ich unterwegs bin aber schon) und es
werden Fotos mit (oder heimlich von) mir gemacht. Sich unwohl in
seiner Haut fühlen, bekam eine ganz neue Bedeutung für mich.
Einerseits
muss ich wohl zugeben, dass ist es erst einmal unangenehm war
pauschal als “Weißer/Weiße“ bezeichnet zu werden, das kratzt an
Ego und Individuum als das mensch sich selber sieht. Ich fühlte mich
beurteilt aufgrund meiner Hautfarbe und Vergangenheit dieser
Hautfarbe. Das verübele ich jedoch Niemanden, habe sogar Verständnis
dafür, denn was mensch hier mir meiner Hautfarbe ablas, waren ja
nicht nur sich ausgedachte Vorurteile, sondern besaß ganz viel
Wahrheit. Ja, ich besitzen nun mal durchschnittlich mehr als die
Bewohner Boliviens, ich kann es mir leisten zu arbeiten ohne mich
dafür bezahlen lassen zu müssen, ein FSJ machen zu dürfen und es
vor allem auch zu können ist ein wahnsinniges Privileg, welches ich
besitze. Und deswegen gibt es hier das Andererseits
und dass machte mir viel mehr zu schaffen. Mein Bild das mir
übergezogen wurde war mir unangenehm. Ich wollte dem Stereotyp nicht
entsprechen, rein deshalb, da er für mich mit Schamgefühl verbunden
ist. Scham für meine Privilegien die ich besitze, ohne auch nur ein
Finger dafür gekrümmt zu haben. Privilegien die mir eine grausame
und unfaire Vergangenheit in die Wiege legte.
Wie
hat mensch damit umzugehen, wenn er unverdient auf der Gewinnerseite
steht?
Ich, als „Weiße“ gehören in der Gesamtproblematik der
Thematik Rassismus nicht zu den negativ Betroffenen. Rassismus ist
unfair und es ist Tatsache, dass es nie Rassismus gegen die „Weißen“
an sich geben kann, denn wir stehen auf der Seite die das Machtgefüge
definiert. Deswegen ist diese Frage selbstverständlich keine des
Selbstmitleids, aber eine Frage die unumgänglich ist in dem
persönlichen Prozess im Umgang mit Rassismus, der Kreation eines
Verständnis für Rassismus.
Zweierlei
Dinge konnte ich für mich bewusst festhalten. Ich werde erstens
niemals vollkommen verstehen können wie sich die tägliche
Konfrontation mit Rassismus für die Betroffenen anfühlt. Und
zweitens wie unglaublich wichtig es ist, sich von dem
fehlenden Nachvollziehen keine Tatsachen verdrängen zu lassen. Was
mir in Deutschland wahrlich nicht immer gelungen ist. Bolivien hat
mir verdeutlicht, hier wo ich jetzt plötzlich zur Minderheit der
Gesellschaft gehöre, wie Rassismus immer noch wie eine schwere
Kuppel über uns schwebt, eine seit Jahrhunderten eingebrannte
rassistische Anerkennungsordnung, die von beiden Seiten
festgehalten wird.
Um
meine Worte mal in Beispielen zu verdeutlichen. Die hier vertretene
positive Verknüpfung mit meiner Hautfarbe funktioniert natürlich
auch in die andere Richtung. Dass heißt, ich bin tatsächlich auf
einige Menschen getroffen, die ihre indigenen Wurzeln verleugnen,
sich mir gar sogar mit einer ganz anderen Nationalität vorgestellt
haben, mir offen ins Gesicht sagen, dass sie alles dafür tun würden
eine solche Hautfarbe wie meine zu besitzen, weil sie für Reinheit
und Schönheit steht. Wie erschreckend paradox dieser Effekt doch
ist, das es negativ Betroffene gibt, welche die Anerkennungsordnung
übernehmen, akzeptieren und sogar reproduzieren. Gerade Bolivien
scheint sehr mit der Reproduktion des rassistischen sozialen
Maßstabes zu kämpfen zu haben.
Bolivien
Um das „Wieso“
zu verstehen muss man sich ein wenig genauer mit der bolivianischen
Geschichte oder der Geschichte Lateinamerikas auseinandersetzen.
In
Bolivien müssen Jahre/Jahrhunderte, die von Unterwürfigkeit und
wirtschaftlicher sowie sozialer Exklusion geprägt wurden, überwunden
werden. Kolonialzeit muss ich hier nicht genauer erläutern, denn die
Geschichtsbücher sind doch eindeutig: Wir versklavten, wir töteten,
wir raubten aus...wir rissen Macht an uns die keiner verdient. Mit
den Folgen der Kolonialität hatte und hat Bolivien sichtlich zu
kämpfen. Auch heute noch ein Land geprägt von politischen
Instabilität und Armutsraten,
die sich als die höchsten Lateinamerikas aufweisen. Zudem
kommt, dass Bolivien sowohl in nationaler Hinsicht, als auch im Bezug
auf seine Kulturen, seine Sprachen, sowie seine religiösen,
wirtschaftlichen und sozialen Werte ein höchst plurales Land ist.
Nicht umsonst nennt es sich „Estado plurinacional de Bolivia“.
Bolivien ist multiethnisch, multikulturell, multilingual. Und dieser
Multikulti hat in der Vergangenheit oder auch noch heute für
Konflikte gesorgt. In keinem anderen Land Lateinamerikas gibt es so
eine Varietät an unterschiedlichen Völkern wie in Bolivien.
Die
indigenen Völker Boliviens.
Die
„Indiginas“ wurden lange Zeit sozial und
politisch kaum beachtet, gar sogar diskriminiert und rassisiert,
obwohl sie eine Mehrheit in der Bevölkerung darstellen. Die
Wahl 2006 von Evo Morales, dem ersten indigenen Präsidenten
Boliviens, brachte viel Schwung in die indigene
Bewegung und
half dabei die Thematik der Kultur, Ethnie und Ureinwohner in die
öffentliche Bewusstsein zurückzubringen. In
den letzten Jahren hat die Wahrnehmung indigener Völker und ihrer
Interessen auf der lateinamerikanischen sowie auf der internationalen
Ebene stark zugenommen. Dies spiegelt sich u.a. in der Verankerung
indigener Rechte in internationalen Übereinkommen und Erklärungen
wieder. Doch der Weg zur sozialen Gleichstellung ist noch weit.
Sich
weiter mit dem höchst komplizierten politischen Situation Boliviens
auseinanderzusetzen sprengt in diesem Blog sichtlich den Rahmen. Grob
lässt sich jedoch zusammenfassen, dass sich Evo
Morales auf die kulturellen Traditionen zurückbesinnen und das Land
aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit befreien will und postiert
sich dabei ganz klar gegen den Neolibralismus. Das sorgt natürlich
für mächtig Widerstand. Zwischen Befürworter und
Gegner Evo Morales gibt es viele, teils sehr radikale
Auseinandersetzungen. Ich habe mir bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht
wirklich ein eigene Meinung bilden können, für mich lässt sich
Politik nicht in schwarz oder weiß unterteilen. Doch wenn ich eines
weiß, dann ist es, dass das internationale Bild des Prozesses
sozialen Wandels in Bolivien und von President Evo
Morales, auch von deutschen Medien so verbreitet, ein sehr
unvollkommenes ist oder
gar eines ist, welches im falschen Deutungsrahmen interpretiert wird.
Artikeltitel auf die man in Zeitungen wie die
„Welt“ trifft sind vielsagend: "Eine
Frage der Hautfarbe: Mit dem Indio-Kult von Boliviens Präsident Evo
Morales erlebt Lateinamerika einen Rückfall in die Ideologie der
Abstammung"(2006). Die indigenen Bewegung als einen „Rückfall“,
einen Weg in noch mehr Rückständigkeit darzustellen beweist, wie
wichtig und notwendig die Indigene-Bewegung ist.
Und
ja natürlich gibt es einige soziale Normen hier in Bolivien,
besonders was die gesellschaftliche Stellung der Frau angeht, die
dringendes Änderungspotential besitzen.
Doch
die indigene Kultur ist eine Kultur voller Weisheiten und
faszinierenden Traditionen und mit einem bewundernswerten Verständnis
und Respekt gegenüber der Natur und Pachamama (Mutter Erde), von
denen wir alle noch vieles lernen sollten. Ich durfte schon einige
indigene Völker auf meinen kleinen Reisen in verschiedenste Ecken
Boliviens kennen lernen, bin immer auf unglaublich liebenswerte
Menschen getroffen, durfte einige traditionelle Rituale miterleben
und durfte zuhören als sie von ihrer Lebensweise berichteten. Ein
Leben, welches z.B. auch ohne Polizei, ohne Überproduktion und
stetigen Wachstum funktioniert. In Deutschland oder aber auch
Millionenstadt Santa Cruz unvorstellbar. Wie mensch letztendlich
Rückständigkeit oder Fortschritt definiert, bleibt im Auge des
Betrachters liegen. Ich kann für mich sagen, indigen und
rückständig, eindeutig keine Synonyme. Passendere Beschreibungen wären: Naturverbunden, Naturbewusst und kein wenig unglücklicher als wir, obwohl sie nicht im Überfluss leben.
Ihr Lieben, ich sende euch herzliche Grüße aus Bolivien. Werde hier meine
letzten drei Wochen genießen, denn ich bin sehr froh in einem Land
leben zu dürfen in dem Traditionen
und Kultur überlebten und sich nicht krampfhaft dem Westen angepasst
haben. Bin unglaublich gespannt auf meine dann startende Reise durch
Peru und Ecuador (hoffentlich bleibt auch noch ein wenig Zeit für
Kolumbien) und wie diese mir vllt. auch noch einmal einen ganz
anderen Blickwinkel auf Bolivien schenkt. Fühlt euch gedrückt,
Besos y un abrazo fuerte, Isabel.